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23.03.2012

2012 - Hilflos.

Hilflos.


Eigentlich wollten wir diesmal über den Schulbeginn in Uganda schreiben, aber es gibt ein Thema, das uns derzeit einfach dauernd beschäftigt: die Prügelstrafe. Wir sind bei unserer Arbeit in Uganda fast täglich mit Schicksalen konfrontiert, die uns tief treffen. Egal, ob der HIV positive Bub, der mit seiner von AIDS schwer gezeichneten Mama in die Schule kommt, und um Hilfe bittet. Oder der Teenager, der uns weinend erzählt, dass er nach dem Tod beider Eltern mit seinen Geschwistern bei der Tante lebt und sich nichts mehr wünscht als in die Schule gehen zu können, damit er später einfach irgendeine Chance in seinem Leben hat. Oder die taubstumme Rose, die mit der Oma zu uns kommt und uns mit ihrem Lächeln verzaubert. Die Liste lässt sich noch viel weiter fortführen und das gute daran ist, dass wir diesen Kindern helfen können. Unser HIV Programm hilft derzeit fast 20 HIV positiven Kindern aus armen Familien mit Schulgeld, monatlicher Aufbaunahrung, Transportgeld zu den Check-Ups ins Krankenhaus und dank der erfolgreichen Aktion „Geborgenheit“ demnächst auch mit Decken und Matratzen. Charles, der oben genannte 17jährige Bursche, besucht seit dieser Woche die Senior School in Zigoti und Rose ist mittlerweile Schülerin der „School for the Deaf“ in Mityana.

Doch dann hören wir vom Selbstmord von Noah, einem Patenkind aus Madudu. Der Bub war 14 Jahre als er sich mit Rattengift das Leben nahm. Bald stellt sich heraus, dass wohl häusliche Gewalt die Hauptschuld an seinem Unglück war. Die Mutter, alleinerziehend und unter ärmsten Bedingungen lebend, hat ihrer Überforderung anscheinend regelmäßig mit Schlagen der Kinder Ausdruck verliehen. Die Nachbarn wussten von den Zuständen und haben die Frau immer wieder auf ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht. Scheinbar vergeblich. Kürzlich kam es erneut zu einem großen Streit in der Familie, da Noah einen Geldschein verloren hatte, den er für die Mutter in kleinere Scheine wechseln lassen sollte. Diesmal war die Gewalt wohl so heftig, dass Noah ankündigte, er werde das Haus verlassen und zu seinem erwachsenen Bruder im nächsten Dorf ziehen. Aber dort kam er nie an. Er wurde von Passanten am Weg dorthin gefunden, die Hilfe kam aber bereits zu spät. Viele Gedanken gehen uns da natürlich durch den Kopf. Wir fragen uns, ob wir helfen hätten können, hätten wir von der Situation gewusst. Hätte Noahs Tod verhindert werden können? Und dann fragt man sich vielleicht auch, ob es nicht doch ein Einzelfall war, wie es leider auch viele solche Schicksale überall auf der Welt gibt.

Aber dann kommt Prossy zu uns, der Direktor ihrer Schule hätte sie geschlagen. Wir bitten den Mann zum Gespräch. Von Anfang an ist er ehrlich und leugnet nicht, dem Mädchen mit einem Stock 11 Schläge versetzt zu haben. Er wusste sich nicht anders zu helfen. Prossy sei so arrogant, folge den Anweisungen der Lehrer nicht. Sie sei frech und aufmüpfig und sorge für schlechte Stimmung unter den Mitschülern. Aber warum er sie deshalb schlägt? Ob er denn andere Bestrafungen ausprobiert hätte? haben wir ihn gefragt. Ja, einmal hätte er sie schon eine Extrarunde zum Brunnen drehen lassen, um die doppelte Menge an Wasser zu holen. Aber das habe nichts gebracht. Andere Bestrafungen habe er sich gar nicht mehr überlegt. Wir fragen ihn, wie er seine eigenen Kinder bestrafe. Wie selbstverständlich antwortet er: die schlägt er natürlich auch. Wir sind vor allem von der Selbstverständlichkeit schockiert, mit der er von den Vorgängen berichtet. Seine Eltern haben ihn ja auch geschlagen und ihm habe es nicht geschadet, fügt er hinzu. Dass auch in Uganda die Prügelstrafe gesetzlich verboten ist, ist ihm reichlich egal. Und uns gibt er das Gefühl, wir seien ja nur zwei Einzelfälle, die das anders sehen, aber im Grunde sei das in Uganda „einfach so“. Prossy kommt in eine andere Schule. Eine Anzeige bei der Polizei machen wir nicht, da es dafür Zeugen bräuchte und die gibt es nicht. So viel zur rechtlichen Lage. Hilflos gehen wir aus diesem Gespräch.

[froehliche-Kinder_350] Wir versuchen uns an den Fortschritten im Internat und in unseren eigenen Schulen in Zigoti und Bongole aufzubauen, wo seit 2 Jahren wohl wirklich kein Kind mehr geschlagen wird und wo es einfach zahlreiche andere Formen der Bestrafungen gibt. Angefangen vom zusätzlichen Wasserholen für die Küche oder andere Schüler über das „Rasenmähen“ mit einer lokalen Sense in der Schule bis hin zum Düngen der Felder mit Kuh-Urin für schwerwiegendere Fälle. Wir sehen sehr wohl, dass man mit dem regelmäßigen Aufzeigen von Alternativen ein Umdenken erreichen kann. Aber wie erreicht man die Eltern, die Caretaker der Kinder?

Seit gestern wird nun Mariam gesucht. Das kleine Mädchen hat einen relativ weiten Schulweg und ist gestern nicht Zuhause angekommen. Mariam ist 7 Jahre alt, ein zartes Wesen, das in der Schule gerne lacht und viele Freundinnen hat. Die Mutter kommt abends in die Schule auf der Suche nach der Tochter. Ein Unfall wurde rasch ausgeschlossen. Vielleicht sei sie ja bei Freunden. Doch diese Suche verläuft vorerst ergebnislos. Im Gespräch mit der Mutter stellt sich heraus, dass auch hier regelmäßiges Schlagen auf der Tagesordnung steht. Das Mädchen sei einfach zu stur und folge der Mutter nicht. Vielleicht ist das Mädchen deshalb nicht nach Hause gegangen? Wir wissen es nicht und hoffen nur, dass das Kind bald auftaucht.

Diese Fälle zeigen uns, dass wir viel verbessern können in den Leben vieler Kinder. Aber der Kampf gegen die Prügelstrafe erscheint uns manchmal noch wie ein Kampf gegen Windmühlen.